Story 4
Das Klingeln meines Weckers lässt mich hin und her wälzen. Mir ist warm, und ich schwitze regelrecht. Es fühlt sich an, als hätte ich nur ein paar Stunden Schlaf intus, und alles ist so schwer – innerlich wie äußerlich. Ich will nicht meine Augen öffnen! Und ich will verdammt nochmal nicht aufstehen! Moris, der von meinem Wecker ebenfalls aus dem Schlaf gerissen wird, aber noch nicht aufstehen muss, streicht mir über mein Haar, statt daran zu ziehen und mich anzubrüllen, was mit mir eigentlich nicht stimmt (meinen Wecker schalte ich etwa eine Stunde lang alle 8 Minuten auf Stumm, um endlich meinen Arsch aus dem Bett zu bewegen). So würde ich schätzungsweise reagieren. Deshalb funktioniert unsere Beziehung auch so gut. Dank Moris und seiner Geduld, die so groß ist wie das Universum! 😀 Ich hätte mich selbst schon längst verkloppt!
Durch die nur halb zugezogenen Vorhänge scheint die Sonne mir direkt ins Gesicht, und ich merke, wie die Wut in mir aufsteigt. Was soll das? Warum kann es denn heute nicht bewölkt sein und regnen?
Ich zwinge mich aufzustehen. Alles läuft gefühlt in Zeitlupe ab. Meine Beine fühlen sich an, als ob 1l Wasser in ihnen stecken würde. PRO SEITE NATÜRLICH! Auf dem Weg ins Badezimmer laufe ich an dem Spiegel im Schlafzimmer vorbei. Wie ein Kaugummi an einer Fußsohle bleibe ich bei dem Anblick hängen. Ich betrachte mich mit dem kritischen Blick einer Diva von oben nach unten. Was zum Teufel… ich ziehe mein Oberteil etwas nach oben und betrachte meinen Bauch von der Seite (ich sage hier Bauch, damit ich zivilisierter rüberkomme – ich meine aber Wampe). Ich ziehe ihn mehrmals ein und lasse wieder locker, wie eine Meereswelle, die eher einem Erdbeben gleicht. Die Erkenntnis trifft mich schnell! Kopfschüttelnd stelle ich fest: „Mein Gott, bist du fett geworden!“
„Sobald solche Gedanken anfangen, versuche dich nicht in ihnen zu verlieren. Lass dich nicht ins schwarze Loch hineinziehen.“ Tauchen Moris‘ Worte in meinem Kopf auf, während ich gedanklich die Abwärtsspirale hinunterrutsche. Im Badezimmer angekommen, gibt es kein Entkommen mehr. Ich befinde mich bereits von Kopf bis Fuß im schwarzen Loch und ziehe unsere Waage raus. Der Blick auf mein Gewicht trifft mich wie ein Pfeil ins Herz, und ich taumele aus dem Bad. Ich lege mich erneut in Embryostellung ins Bett und betrachte ohne festen Blick meinen offenen Kleiderschrank. Ich bin so müde! Es vergeht eine halbe Stunde, bis ich mich aufraffen kann und das passende Schlabberoutfit anziehe. Umso weiter, desto besser ist die Devise! Und natürlich schwarz, damit schön alles kaschiert wird, was eine Wölbung hat. Diejenigen unter euch, die mir jetzt versuchen wollen zu erklären, dass wir Powerfrauen sind und man seinen Körper so lieben soll, wie er ist. JA, verdammt noch eins, das weiß ich selbst, aber was willst du tun, wenn meine Hormone gerade auf einer Techno-Party feiern und gefühlt jede halbe Stunde wieder von ihrem Trip runterkommen. Ihr merkt, meine Zündschnur ist heute ziemlich kurz! Also please don’t judge.
In der Arbeit angekommen, heule ich mich 20 Minuten bei Kollegen und Vorgesetzten aus, werde einmal fest gedrückt, und den Rest des Tages bin ich weitgehend beschäftigt, sodass meine innere Dramaqueen eine Weile Sendepause hat.
Ich mache mich nach der Arbeit sofort auf den Weg nach Hause. Obwohl ich bereits die Hose mit dem weitesten Bund angezogen hatte, habe ich das Gefühl, aus dieser befreit werden zu müssen. By the way sind mir in den letzten 3 Monaten 2 Hosen geplatzt. (An dieser Stelle danke Petra, meiner Schneiderfee, die bisher alles wieder zusammenflicken und retten konnte). Aus einer musste Moris mich sogar befreien, da der Reißverschluss in der Mitte hing. Die Hose war so eng, dass ich Atemnot hatte, und Moris gezwungen war, sie buchstäblich in der Mitte aufzureißen. Ein neuer Tiefpunkt in meinem Leben. Mir kommen die Tränen. Ich bin müde und habe das Bedürfnis, mich in Embryostellung auf die Couch zu legen und mich eine Weile zu bemitleiden. Das eigene Mitleid ist doch immer noch das beste, oder?! 😀
Ich steige ins Auto, lasse auf Spotify „Places“ von „The Blaze“ laufen, um mich schnell wieder in einen positiven Mood zu bringen.
Ich gröle lautstark mit und lasse alle Emotionen in meinem geliebten Mini freien Lauf. Zuhause angekommen, wartet Moris bereits in der Küche auf mich. Er ist nebenbei gesagt ein fantastischer Koch! Ich drücke mich an seinen Rücken, und wir tauschen uns über unseren Tag aus. Da ich nicht sekündlich mitschreiben kann, meine Nervenzusammenbrüche aber gefühlt in diesem Takt auftreten, merkt Moris relativ schnell, dass dieser grantige Engel heute nicht ich bin, sondern Mrs. PMS. Ich lege mich auf die Couch. Meine Füße sind so schwer wie Beton, und ich fühle mich ausgelaugt. Ich sollte mal meine Eltern anrufen. Ja… meine Eltern. Die, die sich seit zwei Tagen nicht mehr bei mir melden! Haben sie mich etwa vergessen? Aus den Augen, aus dem Sinn oder was? Der Blitz meines Blitzgedankens trifft mich mitten in die Brust. Vor Schmerz halte ich meine Hände vor meinem Herzen. Ich fühle mich vernachlässigt und… verraten!
Das Gefühl des Verrats dauert nicht lange. 10 Minuten Facetime (inklusive 5 Minuten Heulkrampf) mit meiner Mutter, und die Welt ist wieder im Lot! Was soll ich sagen?! Da ich nach den ganzen Schweiß- und Heulattacken aussehe wie Marilyn Manson (Stuttgarter Dauerklima im Sommer, 30 Grad, die sich jedoch im Kessel anfühlen wie 38), finde ich es an der Zeit, unter die Dusche zu springen und mir die Lasten des Tages oder des Lebens abzuwaschen. Schnell in die Hello Kitty Jogginghose, die ich gefühlt bis zum Bauchnabel hochziehe, und dann wird unsere neue Lieblings-Krimiserie „Der Pass“ angesehen (zu 1000% empfehlenswert für die Krimi-Liebhaber unter euch). Ich lege meinen Kopf an Moris‘ Schulter. Keine Reaktion. Er redet nicht mit mir, und umarmen will er mich wohl auch nicht. Ich blicke zu ihm hinauf und mustere ihn skeptisch. „Er liebt dich nicht mehr!“ stelle ich mit Schock Nummer 125 fest, während Moris mich liebevoll auf die Stirn küsst. Ich.. Ich kann nicht mehr.
Zwei Kannen Frauentee später bin ich durch Kopfschmerzen ein Totalschaden. Ich lege mich ins Bett und schlafe binnen Sekunden ein, und mit mir meine Dramaqueen. Sie wacht am nächsten Tag nicht mit mir auf, sondern wird nahtlos von Frau Schmerz abgeklatscht. Die Schmerzen übernehmen schlagartig die komplette Kontrolle über meinen Körper und knocken mich komplett aus! Nun ja, zumindest bin ich keine hysterische Irre mehr. Mit zwei Paracetamol intus, Kamillentee und einem Harry-Potter-Filmmarathon lasse ich es mir den Rest des Tages gut gehen.
An alle Frauen da draußen: Ja, wir sollten froh sein, so ein Naturwunder zu sein und wie verrückt die Natur und der weibliche Körper ist. ABER verdammt nochmal, man sollte uns die Füße küssen für dieses monatliche geistige Workout! Ich schicke jedem weiblichen Wesen auf diesem Planeten Kraft, der gerade in dieser Achterbahn steckt. Alles, was du jetzt fühlst, fühlst du nur eine begrenzte Zeit – denn du bist nicht du, wenn du PMS hast.